Der Pflichtteilsergänzungsanspruch: Wie Schenkungen zu Lebzeiten Ihren Pflichtteil erhöhen

Sven Diel

Rechtsanwalt für Erbrecht

Das Wichtigste in Kürze

  • Zweck des Anspruchs: Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) schützt Sie als Pflichtteilsberechtigten davor, dass der Erblasser Ihr Erbe durch Schenkungen zu Lebzeiten gezielt schmälert.
  • Die 10-Jahres-Frist: Schenkungen werden in der Regel nur innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall berücksichtigt. Dabei “schmilzt” der Wert der Schenkung für jedes vergangene Jahr um 10 % .
  • Wichtige Ausnahmen: Die 10-Jahres-Frist gilt nicht für Schenkungen an Ehegatten, solange die Ehe besteht. Auch ein vom Schenker vorbehaltenes Nießbrauchs- oder umfassendes Wohnrecht kann den Beginn der Frist hemmen und den Anspruch auch nach über zehn Jahren erhalten.
  • Verjährung beachten: Ihr Anspruch selbst verjährt in der Regel drei Jahre nach Ihrer Kenntnis vom Erbfall und der Schenkung. Gegen den Beschenkten direkt gilt jedoch eine gefährliche, kenntnisunabhängige 3-Jahres-Frist, die bereits mit dem Todestag beginnt.

Bei der Berechnung des Pflichtteils und folglich auch des Pflichtteilsergänzungsanspruchs spielen insbesondere die Kinder des Erblassers und deren Erbquote eine zentrale Rolle, da sich daraus die genaue Berechnung des Anspruchs ergibt. Ein Pflichtteilsberechtigter ist eine Person, die aufgrund ihres Verwandtschaftsgrades oder als Ehepartner einen Anspruch auf einen Pflichtteil geltend machen kann. Erfahren Sie wie Sie den Pflichtteil einfordern. .

Sie möchten eine individuelle und umfassende Beratung zu Ihrer persönlichen Situation?

Für eine persönliche Beratung stehen wir Ihnen in unserer Kanzlei in Hannover-Kirchrode zur Verfügung. Vereinbaren Sie gerne einen Termin.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Was ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Das deutsche Erbrecht versucht, einen fundamentalen Ausgleich zu schaffen:

Auf der einen Seite steht der Wille des Erblassers, also sein Recht, frei über sein Vermögen zu verfügen. Diesen Willen kann der Erblasser in einem Testament festhalten. Zu beachten ist jedoch, dass ein solches Testament in der Praxis häufig fehlerhaft ist und im Ergebnis sogar ungewollte Ansprüche, wie den Pflichtteil und auch den Pflichtteilsergänzungsanspruch auslösen kann. Lassen Sie daher rechtzeitig Ihr Testament prüfen.

Grundlage für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist immer die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht.

Auf der anderen Seite sichert das Gesetz nahen Angehörigen eine finanzielle Mindestbeteiligung am Nachlass, den sogenannten Pflichtteil. Doch was passiert, wenn ein Erblasser versucht, diesen Pflichtteil zu umgehen, indem er sein Vermögen bereits zu Lebzeiten verschenkt? Genau hier greift der Pflichtteilsergänzungsanspruch. Um solche Risiken zu vermeiden, sollten Sie wissen, wie Sie ihr Vermögen zu Lebzeiten richtig übertragen.

Dieses Rechtsistrument, verankert in § 2325 BGB, ist ein entscheidender Schutzmechanismus für Pflichtteilsberechtigte. Es basiert auf den Regelungen des BGB und dem Pflichtteilsrecht als gesetzlicher Grundlage. Es soll die “Aushöhlung” des Nachlasses verhindern. Die Regelung stellt sicher, dass Schenkungen, die der Erblasser in einem bestimmten Zeitraum vor seinem Tod vorgenommen hat, dem Nachlass rechnerisch wieder hinzugefügt werden. Es wird also ein “fiktiver Nachlass” gebildet, aus dem sich dann ein höherer Pflichtteil ergibt.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist somit kein Anspruch auf Rückgabe des verschenkten Gegenstandes, sondern ein reiner Anspruch in Geld, der sich in erster Linie gegen die Erben richtet. Anspruchsberechtigt sind all diejenigen Personen, denen auch ein genereller Pflichtteilsanspruch zusteht. Dazu gehören nach § 2303 BGB vor allem die direkten Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel, Urenkel), der überlebende Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie die Eltern des Erblassers, sofern dieser keine Kinder hinterlässt.

Ein Pflichtteilsverzicht ist möglich und kann erhebliche Auswirkungen auf die Erbschaft und die Ansprüche weiterer Pflichtteilsberechtigter haben. Die Rolle des Nachlasses und des Erbes wird insbesondere nach dem Tod des Verstorbenen deutlich, wenn die Verteilung an die Erben und die pflichtteilsberechtigten Personen erfolgt. Viele Angehörige und Verwandte stellen sich die Frage, ob sie trotz eines Testaments oder Pflichtteilsverzichts noch Anspruch auf den Pflichtteil haben.

Sie benötigen Unterstützung?

Kostenlose Ersteinschätzung vom Anwalt für Erbrecht.

Rechtsanwalt Sven Diel

Wer ist pflichtteilsberechtigt?

Anspruchsberechtigt sind all diejenigen Personen, denen auch ein genereller Pflichtteilsanspruch zusteht. Dazu gehören nach § 2303 BGB vor allem die direkten Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel, Urenkel), der überlebende Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie die Eltern des Erblassers, sofern dieser keine Kinder hinterlässt. Pflichtteilberechtigt sind im deutschen Erbrecht Personen in einem ganz bestimmten Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser. Dazu zählen in erster Linie die Kinder des Erblassers, also auch adoptierte Kinder, sowie deren Abkömmlinge (Enkel, Urenkel), falls das Kind bereits verstorben ist. Neben den Nachkommen sind auch der Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner pflichtteilsberechtigt. In bestimmten Fällen, nämlich wenn keine Kinder vorhanden sind, können auch die Eltern des Erblassers einen Pflichtteil beanspruchen.

Ein Pflichtteilsverzicht ist möglich und kann erhebliche Auswirkungen auf die Erbschaft und die Ansprüche weiterer Pflichtteilsberechtigter haben. Die Rolle des Nachlasses und des Erbes wird insbesondere nach dem Tod des Verstorbenen deutlich, wenn die Verteilung an die Erben und die pflichtteilsberechtigten Personen erfolgt. Viele Angehörige und Verwandte stellen sich die Frage, ob sie trotz eines Testaments oder Pflichtteilsverzichts noch Anspruch auf den Pflichtteil haben.

Selbst wenn der Erblasser einen Pflichtteilsberechtigten durch Testament oder Erbvertrag enterbt, bleibt dieser Person der Pflichtteil erhalten. Die Höhe des Pflichtteils beträgt stets die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, der dem Pflichtteilsberechtigten nach der gesetzlichen Erbfolge zugestanden hätte.

Pflichtteilsberechtigte Personen haben das Recht, ihren Pflichtteil gegenüber den Erben geltend zu machen. Sie können von den Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses und ein Nachlassverzeichnis verlangen, um die Höhe ihres Anspruchs zu ermitteln. So wird sichergestellt, dass die Mindestbeteiligung am für die nächsten Angehörigen des Erblassers gewahrt bleibt.

Die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs: Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung

Die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs mag auf den ersten Blick komplex erscheinen, folgt aber einer klaren Logik. Sie lässt sich in mehrere nachvollziehbare Schritte unterteilen, die sicherstellen, dass Ihr Anspruch korrekt ermittelt wird. Bei Unklarheiten über die Bewertung von Gegenständen im Nachlass oder bei der Berechnung des Pflichtteils hat der Pflichtteilsberechtigte Anspruch darauf, dass ein Sachverständiger hinzugezogen wird.

Grundlage: Der fiktive Nachlass und Ihre Pflichtteilsquote

Der Ausgangspunkt jeder Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist die Ermittlung des sogenannten fiktiven Nachlasses. Dieser bildet die Basis für Ihren erhöhten Pflichtteil.

  1. Ermittlung des realen Nachlasswerts: Zunächst wird der Wert des tatsächlich vorhandenen Nachlasses zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers festgestellt. Dazu gehören alle Vermögenswerte wie etwa Immobilien, Bankguthaben und Wertpapiere, abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten wie Schulden des Erblassers oder Beerdigungskosten.

  2. Identifizierung ergänzungspflichtiger Schenkungen: Im nächsten Schritt werden alle Schenkungen erfasst, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat und die für den Anspruch relevant sind. Hierüber muss der Erbe Auskunft erteilen, da er der Einzige ist, welcher auch von Banken und Beschenkten die Auskunft verlangen kann. Der Pflichtteilsberechtigte hat nur einen Anspruch auf Auskunft gegen den Erben.

  3. Bildung des fiktiven Nachlasses: Der Wert dieser Schenkungen (gegebenenfalls nach Anwendung des Abschmelzungsmodells) wird zum realen Nachlasswert addiert. Die Summe ergibt den fiktiven Nachlass.

  4. Bestimmung der Pflichtteilsquote: Ihre persönliche Pflichtteilsquote beträgt immer die Hälfte Ihrer gesetzlichen Erbquote. Wären Sie also ohne Testament gesetzlicher Erbe zu 1/2 geworden, beträgt Ihre Pflichtteilsquote 1/4.

  5. Berechnung des Gesamtpflichtteils: Nun wird Ihre Pflichtteilsquote auf den fiktiven Nachlass angewendet. Das Ergebnis ist Ihr Gesamtpflichtteil. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist die Differenz zwischen diesem Gesamtpflichtteil und dem Pflichtteil, der sich nur aus dem realen Nachlass ergeben hätte.

Das Abschmelzungsmodell: Wie die 10-Jahres-Frist den Wert der Schenkung mindert

Eine zentrale Rolle bei der Berechnung spielt die 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB. Seit einer Gesetzesreform für Erbfälle ab dem 1. Januar 2010 gilt das sogenannte Abschmelzungsmodell. Es sorgt dafür, dass eine Schenkung umso weniger ins Gewicht fällt, je länger sie vor dem Erbfall zurückliegt. Der Gedanke des Gesetzgebers ist, dass lange zurückliegende Schenkungen nicht zur Schädigung des Pflichtteilsberechtigten erfolgt sind.

Die Regel ist einfach: Für jedes volle Jahr, das zwischen der Schenkung und dem Tod des Erblassers vergangen ist, wird der anrechenbare Wert der Schenkung um 10 % reduziert. Eine Schenkung, die mehr als zehn Jahre zurückliegt, wird somit in der Regel gar nicht mehr berücksichtigt.

Zeit zwischen Schenkung und Erbfall

Anrechenbarer Wert der Schenkung

Innerhalb des 1. Jahres vor dem Erbfall

100 %

Innerhalb des 2. Jahres vor dem Erbfall

90 %

Innerhalb des 3. Jahres vor dem Erbfall

80 %

Innerhalb des 4. Jahres vor dem Erbfall

70 %

Innerhalb des 5. Jahres vor dem Erbfall

60 %

Innerhalb des 6. Jahres vor dem Erbfall

50 %

Innerhalb des 7. Jahres vor dem Erbfall

40 %

Innerhalb des 8. Jahres vor dem Erbfall

30 %

Innerhalb des 9. Jahres vor dem Erbfall

20 %

Innerhalb des 10. Jahres vor dem Erbfall

10 %

Mehr als 10 Jahre vor dem Erbfall

0 %

Diese Tabelle visualisiert, wie der Wert einer Schenkung über die Zeit für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs „abschmilzt“.

Die Wertermittlung der Schenkung: Das Niederstwertprinzip verstehen

Um den fiktiven Nachlass korrekt zu berechnen, muss der Wert der Schenkung präzise bestimmt werden. Das Gesetz unterscheidet hierbei nach Art des verschenkten Gegenstandes, wie in § 2325 Abs. 2 BGB festgelegt.

  • Verbrauchbare Sachen: Dazu zählen insbesondere Geld und Wertpapiere. Ihr Wert wird zum Zeitpunkt der Schenkung angesetzt. Um die Kaufkraft über die Jahre vergleichbar zu machen, wird dieser Wert in der Regel inflationsbereinigt (indexiert).

  • Nicht verbrauchbare Sachen: Hierzu gehören vor allem Immobilien, Grundstücke oder Unternehmensanteile. Für diese gilt das Niederstwertprinzip. Das bedeutet, es werden zwei Werte verglichen: der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung (inflationsbereinigt) und der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls. Für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs wird stets der niedrigere der beiden Werte herangezogen.

Dieses Prinzip soll Fairness gewährleisten, hat aber eine wichtige Konsequenz: Es schützt den Beschenkten und die Erben vor Wertsteigerungen, die nach der Schenkung eingetreten sind. Der Pflichtteilsberechtigte profitiert also nicht von einem Immobilienboom. Die Logik dahinter ist, dass der Erblasser dem Nachlass nur den Wert entzogen hat, den der Gegenstand zum Zeitpunkt der Schenkung hatte. Umgekehrt muss der Pflichtteilsberechtigte jedoch Wertverluste hinnehmen. Fällt der Wert der Immobilie nach der Schenkung, wird der niedrigere Wert zum Todeszeitpunkt für die Berechnung herangezogen, was den Ergänzungsanspruch mindert.

Konkretes Berechnungsbeispiel: Ein einfacher Fall

Um die Theorie zu verdeutlichen, hier ein praktisches Beispiel: Frau Meier ist Witwe und hat einen Sohn, den sie durch ihr Testament enterbt und stattdessen ihre Nichte zur Alleinerbin einsetzt. Der Sohn ist pflichtteilsberechtigt mit einer Quote von 1/2.

  • Realer Nachlasswert zum Todeszeitpunkt: 200.000 Euro.

  • Schenkung: Vor 4,5 Jahren hat Frau Meier ihrer Nichte 100.000 Euro geschenkt.

  • Ordentlicher Pflichtteil: Der Sohn hätte ohne die Schenkung einen Pflichtteil von 100.000 Euro (1/2 von 200.000 Euro).

Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs:

  1. Anrechenbarer Wert der Schenkung: Die Schenkung erfolgte vor 4,5 Jahren, also im fünften Jahr vor dem Erbfall. Gemäß Abschmelzungsmodell werden noch 60 % des Wertes berücksichtigt.

    • 100.000 Euro × 60% = 60.000 Euro

  2. Fiktiver Nachlass: Der reale Nachlass wird um den anrechenbaren Schenkungswert erhöht.

    • 200.000 Euro + 60.000 Euro = 260.000 Euro

  3. Gesamtpflichtteil: Der Pflichtteil wird nun vom fiktiven Nachlass berechnet.

    • 260.000 Euro × 1/2 = 130.000 Euro

  4. Pflichtteilsergänzungsanspruch: Dies ist die Differenz zwischen dem Gesamtpflichtteil und dem ordentlichen Pflichtteil.

    • 130.000 Euro − 100.000 Euro = 30.000 Euro

Ergebnis: Der Sohn kann von der Nichte (als Erbin) seinen ordentlichen Pflichtteil von 100.000 Euro und zusätzlich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch von 30.000 Euro fordern, also insgesamt 130.000 Euro.

Sie benötigen Unterstützung?

Kostenlose Ersteinschätzung vom Anwalt für Erbrecht.

Rechtsanwalt Sven Diel

Reduzierung und Verlust des Pflichtteilsanspruchs

Reduzierung des Pflichtteilsanspruchs

Der Pflichtteilsanspruch kann in bestimmten Fällen reduziert werden, insbesondere durch Anrechnung von Schenkungen oder Zuwendungen, die der Erblasser zu Lebzeiten an ein Kind oder einen anderen Pflichtteilsberechtigten gemacht hat. Voraussetzung für eine solche Anrechnung ist jedoch, dass der Erblasser bei der Schenkung ausdrücklich bestimmt hat, dass diese auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Fehlt eine solche Anordnung, bleibt die Schenkung bei der Pflichtteilsberechnung grundsätzlich unberücksichtigt.

Neben Schenkungen können auch sogenannte ausgleichspflichtige Zuwendungen den Pflichtteilsanspruch mindern. Hierzu zählen beispielsweise Leistungen, die ein Kind im Rahmen der Pflege des Erblassers erbracht hat, ohne dafür ein angemessenes Entgelt zu erhalten. Solche Zuwendungen werden im Rahmen des Pflichtteilsrechts berücksichtigt und können dazu führen, dass sich der auszuzahlende Pflichtteil verringert.

Wichtig ist: Die Reduzierung des Pflichtteilsanspruchs erfolgt nicht automatisch, sondern muss im Einzelfall geprüft werden. Pflichtteilsberechtigte sollten daher genau prüfen, ob und in welchem Umfang Schenkungen oder Zuwendungen auf ihren Pflichtteil angerechnet werden können.

Verlust des Pflichtteilsanspruchs

Der Verlust des Pflichtteilsanspruchs ist im deutschen Erbrecht nur in engen Ausnahmefällen möglich. Grundsätzlich bleibt der Pflichtteil auch dann bestehen, wenn der Erblasser einen nahen Angehörigen durch Testament oder Erbvertrag enterbt hat. Die Enterbung allein führt also nicht zum vollständigen Verlust des Anspruchs, sondern lediglich dazu, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht mehr als Erbe eingesetzt ist und nur noch den Pflichtteil verlangen kann.

Ein vollständiger Verlust des Pflichtteilsanspruchs tritt nur ein, wenn der Erblasser im Testament oder Erbvertrag ausdrücklich eine Pflichtteilsentziehung angeordnet hat – und dies auch auf gesetzlich zulässigen Gründen beruht. Zu diesen Gründen zählen beispielsweise schwere Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erblasser, wie etwa eine schwere Straftat oder grobe Missachtung von Unterhaltspflichten. Die Anforderungen an eine wirksame Pflichtteilsentziehung sind hoch und müssen im Testament oder Erbvertrag klar und nachvollziehbar dargelegt werden.

Wird die Pflichtteilsentziehung nicht ordnungsgemäß oder ohne ausreichenden Grund angeordnet, bleibt der Anspruch auf den Pflichtteil bestehen. Pflichtteilsberechtigte Personen sollten daher im Falle einer Enterbung oder Pflichtteilsentziehung stets prüfen, ob die Voraussetzungen für einen vollständigen Verlust des Pflichtteilsanspruchs tatsächlich vorliegen.

Verjährung: Wann Sie Ihren Anspruch geltend machen müssen

Das Wissen um einen Anspruch ist wertlos, wenn man die Fristen zu seiner Durchsetzung versäumt. Im Kontext des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gibt es mehrere Fristen, deren Zusammenspiel komplex ist und oft zu Rechtsverlusten führt. Bei Streitigkeiten über die Verjährung oder die Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs kann das Nachlassgericht angerufen werden, um rechtliche Schritte einzuleiten und Ansprüche durchzusetzen.

Die 10-Jahres-Frist: Eine Ausschlussfrist, keine Verjährung

Es ist von entscheidender Bedeutung, die 10-Jahres-Frist des Abschmelzungsmodells nicht mit der Verjährung des Anspruchs zu verwechseln. Die 10-Jahres-Frist ist eine materielle Ausschlussfrist. Sie legt lediglich fest, ob und in welcher Höhe eine Schenkung überhaupt für die Berechnung berücksichtigt wird. Ist diese Frist abgelaufen, existiert von vornherein kein Ergänzungsanspruch bezüglich dieser Schenkung. Die Verjährung regelt hingegen, wie lange Sie einen bestehenden Anspruch gerichtlich durchsetzen können.

Die 3-jährige Regelverjährung: Ihr Anspruch gegen die Erben

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben (oder die Erbengemeinschaft) unterliegt der regelmäßigen zivilrechtlichen Verjährung von drei Jahren gemäß §§ 195, 199 BGB. Der entscheidende Punkt ist der Beginn dieser Frist:

Die 3-Jahres-Frist beginnt erst am Ende des Jahres (sogenannte „Silvesterverjährung“), in dem Sie als Berechtigter Kenntnis von drei Dingen erlangt haben:

  1. Vom Tod des Erblassers,

  2. von der Sie beeinträchtigenden Verfügung (also z.B. dem Testament, das Sie enterbt), und

  3. von der Schenkung, die Ihren Ergänzungsanspruch begründet.

Erst wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, beginnt die Uhr am folgenden 31. Dezember zu ticken. Unabhängig von Ihrer Kenntnis verjährt der Anspruch jedoch spätestens 30 Jahre nach dem Erbfall.

Achtung Falle: Die besondere Verjährung Ihres Anspruchs gegen den Beschenkten

Eine erhebliche prozessuale Gefahr liegt in der Verjährungsfrist für den Anspruch, den Sie unter Umständen direkt gegen den Beschenkten haben. Dieser Anspruch aus § 2329 BGB kommt zum Tragen, wenn der Erbe nicht zahlen muss, etwa weil der Nachlass überschuldet ist.

Für diesen subsidiären Anspruch gilt eine gesonderte, strenge Verjährungsregel nach § 2332 BGB:

  • Die Verjährungsfrist beträgt ebenfalls drei Jahre.

  • Sie beginnt jedoch Tag genau mit dem Todestag des Erblassers.

  • Sie läuft völlig unabhängig davon, ob Sie von der Schenkung oder Ihrem Anspruch überhaupt wissen.

Hier liegt eine erhebliche Falle. Sie könnten gutgläubig drei Jahre lang mit dem Erben verhandeln, nur um dann festzustellen, dass der Nachlass wertlos ist. Wenn Sie sich dann an den Beschenkten wenden, ist Ihr Anspruch gegen diesen mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits verjährt. Dies verdeutlicht, dass bei jeglichem Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Erben umgehend gehandelt werden muss, um die Verjährung gegenüber dem Beschenkten zu hemmen, beispielsweise durch eine Klage oder eine sogenannte Streitverkündung.

Sie benötigen Unterstützung?

Kostenlose Ersteinschätzung vom Anwalt für Erbrecht.

Rechtsanwalt Sven Diel

Wichtige Sonderfälle und ihre Auswirkungen auf Ihren Anspruch

Die allgemeinen Regeln zur Berechnung und Verjährung werden durch eine Reihe wichtiger Ausnahmen durchbrochen. Diese Sonderfälle können das Ergebnis einer Prüfung vollständig verändern und erfordern besondere Aufmerksamkeit. Für eingetragene Lebenspartner sieht das Lebenspartnerschaftsgesetz besondere Regelungen im Erbrecht und beim Pflichtteilsergänzungsanspruch vor, insbesondere wenn die Lebenspartnerschaft nicht in eine Ehe umgewandelt wurde.

Schenkungen an Ehegatten: Die Ausnahme von der 10-Jahres-Frist

Die wohl wichtigste Ausnahme betrifft Schenkungen unter Ehegatten. Gemäß § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB beginnt die 10-Jahres-Frist für die Abschmelzung nicht zu laufen, solange die Ehe besteht.

Das bedeutet: Hat der Erblasser seinem Ehepartner während der Ehe Vermögen geschenkt und die Ehe bestand bis zum Tod, wird diese Schenkung immer zu 100 % bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs berücksichtigt, selbst wenn sie 20 oder 30 Jahre zurückliegt. Die Abschmelzung beginnt erst mit der Auflösung der Ehe durch eine rechtskräftige Scheidung oder den Tod. Diese Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Beschenkten wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Es argumentierte, dass innerhalb der besonderen wirtschaftlichen Gemeinschaft der Ehe eine Schenkung oft nicht zu einem echten Vermögensverlust für den Schenker führt und die Regelung daher gerechtfertigt ist, um Pflichtteilsansprüche zu schützen.

Nießbrauch und Wohnrecht: Wenn der Schenker die Immobilie weiter nutzt

Ein weiterer praxisrelevanter Sonderfall tritt auf, wenn der Erblasser eine Immobilie verschenkt, sich aber ein umfassendes Nutzungsrecht vorbehält.

  • Nießbrauch: Behält sich der Schenker ein lebenslanges Nießbrauchsrecht vor, kann er die Immobilie weiterhin selbst bewohnen oder vermieten und die Erträge für sich behalten. Der Bundesgerichtshof urteilt hierzu, dass der Schenker den „wirtschaftlichen Genuss“ der Sache nicht aufgegeben hat. Die Folge ist, dass die „Leistung“ im Sinne des Gesetzes noch nicht erfolgt ist. Damit beginnt die 10-Jahres-Frist für die Abschmelzung erst zu laufen, wenn der Nießbrauch erlischt – was in der Regel erst mit dem Tod des Schenkers der Fall ist. Die Schenkung wird dann mit 100 % ihres Wertes berücksichtigt, egal wie lange sie zurückliegt.

  • Wohnrecht: Ein vorbehaltenes Wohnrecht kann eine ähnliche Wirkung haben, wenn es sich auf die gesamte oder den wesentlichen Teil der Immobilie erstreckt und den Beschenkten von einer eigenen Nutzung ausschließt.

Der Nießbrauch hat dabei einen doppelten Effekt: Er hemmt nicht nur den Beginn der 10-Jahres-Frist, sondern beeinflusst auch die Wertermittlung. Bei der Anwendung des Niederstwertprinzips wird der kapitalisierte Wert des Nießbrauchs vom Immobilienwert abgezogen, wenn der Wert zum Schenkungszeitpunkt der niedrigere ist. Dies reduziert den für die Ergänzung relevanten Schenkungswert. Ist jedoch der Wert zum Todeszeitpunkt niedriger, erfolgt kein Abzug, da der Nießbrauch mit dem Tod erlischt. Die genaue Berechnung ist komplex und erfordert oft eine sachverständige Bewertung.

Eigengeschenke: Was passiert, wenn Sie selbst beschenkt wurden?

Hat der Pflichtteilsberechtigte selbst zu Lebzeiten des Erblassers ein Geschenk erhalten, kommt die Regelung des § 2327 BGB zur Anwendung. Die Behandlung dieser „Eigengeschenke“ weicht in entscheidenden Punkten von Schenkungen an Dritte ab:

  • Das Eigengeschenk wird dem fiktiven Nachlass hinzugerechnet, genau wie eine Schenkung an einen Dritten.

  • Anschließend wird der Wert des Eigengeschenks aber vom errechneten Pflichtteilsergänzungsanspruch des Beschenkten abgezogen.

  • Die entscheidende Besonderheit: Die 10-Jahres-Frist und das Abschmelzungsmodell gelten für Eigengeschenke nicht. Sie werden immer mit ihrem vollen, inflationsbereinigten Wert angerechnet, unabhängig davon, wann die Schenkung erfolgte.

Gemischte Schenkungen: Wenn ein Kauf eigentlich ein Geschenk ist

Eine gemischte Schenkung liegt vor, wenn ein Vermögenswert (z.B. ein Haus) zu einem Preis verkauft wird, der deutlich unter dem tatsächlichen Marktwert liegt. Verkauft ein Vater seinem Sohn beispielsweise ein Haus im Wert von 500.000 Euro für nur 100.000 Euro, wird die Differenz von 400.000 Euro rechtlich als unentgeltliche Zuwendung – also als Schenkung – behandelt.

Dieser unentgeltliche Teil unterliegt vollständig dem Pflichtteilsergänzungsanspruch. Für den Pflichtteilsberechtigten gibt es hier eine wichtige Beweiserleichterung: Liegt ein „grobes Missverhältnis“ zwischen dem Wert der Leistung und der Gegenleistung vor, vermuten die Gerichte eine gemischte Schenkung. Der Berechtigte muss dann nicht mehr den genauen Schenkungswillen des Erblassers nachweisen.

Sie benötigen Unterstützung?

Kostenlose Ersteinschätzung vom Anwalt für Erbrecht.

Rechtsanwalt Sven Diel

Durchsetzung Ihres Anspruchs: Wer zahlt und wie Sie vorgehen

Die Kenntnis über die Existenz und Höhe Ihres Anspruchs ist der erste Schritt. Der zweite, ebenso wichtige Schritt ist die erfolgreiche Durchsetzung.

Der Anspruchsgegner: Zuerst der Erbe, dann der Beschenkte

Ihr primärer Ansprechpartner und Schuldner für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist der Erbe oder, falls mehrere vorhanden sind, die Erbengemeinschaft (§ 2325 BGB).

Der Beschenkte selbst haftet nur subsidiär, also nachrangig, nach § 2329 BGB. Dieser Fall tritt ein, wenn der Erbe aus rechtlichen Gründen nicht zur Zahlung verpflichtet ist, insbesondere wenn:

  • Der Nachlass nicht ausreicht oder überschuldet ist. Der Erbe kann dann die sogenannte Dürftigkeitseinrede erheben.

  • Der Erbe selbst pflichtteilsberechtigt ist und die Zahlung des Ergänzungsanspruchs seinen eigenen Pflichtteil (inklusive eigener Ergänzungsansprüche) schmälern würde (§ 2328 BGB).

Wird der Beschenkte in Anspruch genommen, kann er die Herausgabe des Geschenks abwenden, indem er den fehlenden Betrag in Geld bezahlt (§ 2329 Abs. 2 BGB).

Ihr Recht auf Auskunft: Wie Sie von Schenkungen erfahren

Um Ihren Anspruch überhaupt beziffern zu können, müssen Sie wissen, welche Schenkungen es gab. Hierfür gewährt Ihnen das Gesetz in § 2314 BGB einen umfassenden Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch gegen den Erben.

Der Erbe ist verpflichtet, Ihnen ein detailliertes Verzeichnis über den Bestand des Nachlasses sowie über alle ergänzungspflichtigen Schenkungen vorzulegen. Dies schließt Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre sowie potenziell länger zurückliegende Schenkungen an Ehegatten oder unter Nießbrauchsvorbehalt ein. Dieses Auskunftsrecht ist das zentrale Werkzeug, um die notwendigen Fakten für die Berechnung Ihres Anspruchs zu erhalten.

Antworten auf die wichtigsten Fragen

Eine unbenannte oder ehebedingte Zuwendung ist eine Vermögensübertragung zwischen Ehegatten, die zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft dient und nicht explizit als Unterhalt, Schenkung oder Ausgleich für bestimmte Leistungen deklariert ist. Im Erbrecht werden solche Zuwendungen grundsätzlich wie Schenkungen behandelt und können einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auslösen, es sei denn, sie dienten nachweislich der Altersvorsorge des Empfängers oder dem Ausgleich beruflicher Nachteile.

Ja, die Einsetzung eines Bezugsberechtigten im Todesfall in einem Lebensversicherungsvertrag wird in der Regel als Schenkung an diese Person gewertet. Für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist meist der Rückkaufswert der Versicherung zum Zeitpunkt des Erbfalls oder die Summe der eingezahlten Prämien maßgeblich. Die genaue Bewertung kann komplex sein und hängt von der Vertragsart ab.

Anstandsschenkungen sind nach § 2330 BGB von der Pflichtteilsergänzung ausgenommen. Darunter fallen Geschenke, die aufgrund einer sittlichen Pflicht oder mit Rücksicht auf den Anstand gemacht werden, wie zum Beispiel übliche Geschenke zu Geburtstagen, Weihnachten oder Hochzeiten. Entscheidend ist, dass der Wert des Geschenks in einem angemessenen Verhältnis zu den Vermögensverhältnissen des Schenkers steht.

Ja, ein Verzicht ist möglich. Er muss jedoch in einem notariell beurkundeten Vertrag erklärt werden. Oft geschieht dies im Rahmen eines umfassenderen Erb- oder Pflichtteilsverzichts, um die Nachfolge klar zu regeln und spätere Streitigkeiten zu vermeiden.

Sie benötigen Unterstützung?

Kostenlose Ersteinschätzung vom Anwalt für Erbrecht.

Rechtsanwalt Sven Diel

Fazit: Schützen Sie Ihr Recht mit dem richtigen Wissen

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist ein mächtiges Instrument, das Ihnen als Pflichtteilsberechtigtem zusteht, um Ihnen Ihre gesetzlich garantierte Mindestbeteiligung am Nachlass zu sichern. Er verhindert, dass Ihre Ansprüche durch Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers untergraben werden.

Wie dieser Artikel zeigt, ist die Materie jedoch sehr komplex. Die korrekte Berechnung des Anspruchs hängt von zahlreichen Faktoren ab: dem Zeitpunkt der Schenkung, der Art des verschenkten Gegenstandes, dem Verhältnis der beteiligten Personen und der Anwendung von Sonderregeln wie dem Niederstwertprinzip oder dem Abschmelzungsmodell. Besondere Vorsicht ist bei den unterschiedlichen Verjährungsfristen geboten, deren Versäumnis zum vollständigen Verlust Ihres Anspruchs führen kann. Ausnahmen für Schenkungen an Ehegatten oder unter Nießbrauchsvorbehalt können die Rechtslage zudem grundlegend verändern.

Die Komplexität des Gesetzes und die potenziell fatalen Folgen von Fristversäumnissen machen deutlich, dass eine pauschale Beurteilung kaum möglich ist. Um Ihre Rechte vollständig zu wahren und kostspielige Fehler zu vermeiden, ist die Inanspruchnahme professioneller rechtlicher Beratung unerlässlich. Ein auf Erbrecht spezialisierter Anwalt kann Ihren individuellen Fall prüfen, Ihre Ansprüche exakt berechnen und Sie sicher durch den Prozess der Geltendmachung führen.

Der Autor: Rechts­anwalt Sven Diel

Wir vertreten Sie zuverlässig mit lang­jähri­ger Erfahrung in den Bereichen Insolvenzrecht und Erbrecht

In Hannover und Bundesweit.

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 7

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner