Das Wichtigste in Kürze:
Trotz einer Enterbung im Testament kann Ihnen als Kind, Ehepartner und unter Umständen auch Eltern ein gesetzlicher Pflichtteil zu. Dieser ist ein reiner Geldanspruch gegen den Erben.
Die Höhe des Pflichtteils beträgt immer die Hälfte Ihrer Quote als Erbe. Die genaue Berechnung hängt von Ihrer individuellen Familienkonstellation ab.
Sie erhalten den Pflichtteil nicht automatisch. Sie müssen Ihren Pflichtteilsanspruch aktiv bei den Erben einfordern.
Handeln Sie zügig, denn Ihr Anspruch unterliegt einer dreijährigen Verjährungsfrist.
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Zusammenfassung
Enterbt ist man schnell. Entweder, weil Eltern sich als Alleinerben einsetzen, oder aus verschiedenen Gründe. Das deutsche Erbrecht sichert Ihnen mit dem Pflichtteilsanspruch eine finanzielle Mindestbeteiligung am Nachlass des Erblassers. Dieser Anspruch ist gesetzlich verankert und stark geschützt.
Die Durchsetzung Ihrer Rechte erfordert jedoch Ihr aktives Handeln. Sie müssen Ihre Ansprüche kennen, die komplexen Berechnungsregeln verstehen und die wichtigen Verjährungsfristen im Auge behalten. Insbesondere die Ermittlung des korrekten Nachlasswertes und die Berücksichtigung von Schenkungen des Erblassers in der Vergangenheit sind entscheidend, um keinen Cent zu verschenken.
Die Komplexität des Themas macht eine professionelle anwaltliche Beratung oft unerlässlich. Ein erfahrener Anwalt für Erbrecht kann nicht nur Ihre Ansprüche berechnen und rechtssicher durchsetzen, sondern Sie auch strategisch beraten und in einer emotional belastenden Situation als starker Partner an Ihrer Seite stehen. Zögern Sie nicht, sich professionell beraten zu lassen, um Ihre Rechte vollumfänglich zu wahren.
Enterbt, aber nicht rechtlos – Ihr Anspruch auf den Pflichtteil.
Die Nachricht, durch ein Testament enterbt worden zu sein, ist für die meisten Menschen ein tiefer Schock. Sie ist nicht nur eine finanzielle, sondern vor allem eine emotionale Belastung. Doch auch wenn der letzte Wille des Erblassers zunächst endgültig erscheint, lässt das deutsche Erbrecht die engsten Angehörigen nicht schutzlos zurück. Die im Grundgesetz verankerte Testierfreiheit wird durch das Pflichtteilsrecht begrenzt, um Ihnen eine gesetzliche Mindestbeteiligung am Erbe zu sichern.
Wenn Sie enterbt wurden, bedeutet das nicht, dass Sie völlig leer ausgehen. Ihnen steht in den meisten Fällen ein sogenannter Pflichtteilsanspruch zu. Dieser Artikel dient Ihnen als umfassender Leitfaden. Er erklärt verständlich und faktenbasiert Ihre Rechte, zeigt Ihnen, wie Sie Ihren Pflichtteil bei Enterbung Schritt für Schritt berechnen und erfolgreich durchsetzen, und beleuchtet strategische Optionen, die Ihnen möglicherweise mehr als nur den „einfachen“ Pflichtteil sichern. In dem weiteren Artikel erfahren Sie, wie Sie den Pflichtteil in vier Schritten einfordern.
Was ist der Pflichtteil und wer hat Anspruch darauf?
Um Ihre Rechte zu verstehen, ist es entscheidend, die Grundlagen des Pflichtteilsrechts zu kennen. Es definiert klar, wer geschützt ist und was dieser Schutz konkret bedeutet.
Die gesetzliche Grundlage: Warum das deutsche Erbrecht Sie schützt (§ 2303 BGB)
Das deutsche Erbrecht schafft einen Ausgleich zwischen zwei wichtigen Prinzipien: der Testierfreiheit des Erblassers und dem Schutz der Familie. Der Erblasser kann grundsätzlich frei entscheiden, wen er als Erben einsetzt. Um jedoch zu verhindern, dass die engsten Familienmitglieder vollständig von der Teilhabe am Vermögen ausgeschlossen werden, hat der Gesetzgeber den Pflichtteil als Korrektiv geschaffen.
Die zentrale Norm hierfür ist § 2303 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Dort ist festgelegt, dass bestimmte nahe Angehörige, die durch ein Testament oder einen Erbvertrag von der Erbfolge ausgeschlossen wurden, von den Erben einen Pflichtteil verlangen können. Dieser Pflichtteil wird als die „Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils“ definiert. Es handelt sich also um eine garantierte Mindestbeteiligung.
Der Kreis der Pflichtteilsberechtigten: Wer gehört dazu und wer nicht?
Nicht jeder Verwandte, der enterbt wird, hat automatisch einen Pflichtteilsanspruch. Das Gesetz grenzt den Kreis der Berechtigten klar ein. Entscheidend ist, wer ohne Testament gesetzlicher Erbe geworden wäre, wobei eine feste Rangfolge gilt.
Pflichtteilsberechtigt sind:
Abkömmlinge des Erblassers: Hierzu zählen in erster Linie die leiblichen Kinder. Auch adoptierte und außereheliche Kinder sind vollumfänglich gleichgestellt. Leben die Kinder des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr, treten deren Kinder (also die Enkel des Erblassers) an ihre Stelle. Lebende Kinder schließen jedoch ihre eigenen Nachkommen von der Berechtigung aus.
Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner: Der überlebende Partner hat stets einen eigenen Pflichtteilsanspruch, wenn er enterbt wurde. Maßgeblich für die Höhe ist vor allem der eheliche Güterstand.
Die Eltern des Erblassers: Die Eltern sind nur dann pflichtteilsberechtigt, wenn der Verstorbene keine eigenen Kinder oder Enkel hinterlassen hat.
Nicht pflichtteilsberechtigt sind hingegen:
Geschwister des Erblassers
Großeltern, Onkel, Tanten, Nichten, Neffen und weiter entfernte Verwandte
Nichteheliche Lebensgefährten, auch wenn die Beziehung viele Jahre bestand
Diese Personen können zwar als Erben eingesetzt werden, gehen aber im Falle einer Enterbung vollständig leer aus und haben keinen Anspruch auf einen Pflichtteil.
Personengruppe | Pflichtteilsberechtigt? | Bedingung / Anmerkung |
Kinder (ehelich, unehelich, adoptiert) | Ja | Immer |
Enkel, Urenkel | Ja | Nur, wenn der sie mit dem Erblasser verbindende Abkömmling (z.B. ihr Elternteil) bereits vorverstorben ist. |
Ehegatte / Eingetragener Lebenspartner | Ja | Immer, solange die Ehe/Partnerschaft zum Todeszeitpunkt bestand. |
Eltern | Ja | Nur, wenn der Erblasser keine Kinder oder Enkel hinterlassen hat. |
Geschwister | Nein | Kein Anspruch. |
Großeltern | Nein | Kein Anspruch. |
Nichtehelicher Lebensgefährte | Nein | Kein Anspruch. |

Rechtsanwalt Sven Diel
Die Höhe des Pflichtteils: So berechnen Sie Ihren Anspruch korrekt
Die Berechnung des Pflichtteils ist oft komplex. Insbesondere vor dem Hintergrund das häufig keinerlei Wissen über den tatsächlichen Nachlass besteht. Sie erfolgt in mehreren Schritten und hängt von drei zentralen Faktoren ab: Ihrer Pflichtteilsquote, dem Wert des Nachlasses und dem ehelichen Güterstand des Erblassers.
Schritt 1: Die Pflichtteilsquote – Die Hälfte des gesetzlichen Erbteils
Die grundlegende Formel ist einfach: Ihre Pflichtteilsquote beträgt die Hälfte Ihrer gesetzlichen Erbquote. Um diese zu ermitteln, müssen Sie zunächst die hypothetische Frage beantworten: „Was hätte ich geerbt, wenn es kein Testament gäbe?“ Die Antwort darauf liefert die gesetzliche Erbfolge, die in den §§ 1924 ff. BGB geregelt ist. Ihre so ermittelte gesetzliche Erbquote wird dann halbiert, um Ihre Pflichtteilsquote zu erhalten.
Schritt 2: Der Wert des Nachlasses – Was zählt und was nicht? (§ 2311 BGB)
Die Pflichtteilsquote wird auf den sogenannten Nettonachlass angewendet. Dieser ermittelt sich aus dem gesamten Vermögen (Aktiva) abzüglich aller Schulden (Passiva) zum Zeitpunkt des Todes.
Zu den Aktiva (Vermögen) zählen unter anderem:
Bankguthaben, Wertpapierdepots und Bargeld
Immobilien und Grundstücke
Unternehmensbeteiligungen
Wertvolle Gegenstände wie Schmuck, Kunst oder Fahrzeuge
Forderungen des Erblassers gegen Dritte
Zu den abzugsfähigen Passiva (Schulden) gehören:
Schulden des Erblassers (z.B. offene Kredite, Rechnungen)
Angemessene Beerdigungskosten
Kosten für die Erstellung des Nachlassverzeichnisses und für Wertgutachten, die zur Pflichtteilsberechnung notwendig sind
Wichtig: Nicht alle Kosten, die nach dem Tod anfallen, mindern Ihren Pflichtteilsanspruch. Insbesondere die Erbschaftssteuer der Erben, Vermächtnisse oder Auflagen aus dem Testament werden für die Berechnung des Pflichtteils nicht vom Nachlasswert abgezogen. Der maßgebliche Stichtag für die Bewertung des gesamten Nachlasses ist immer der Todestag des Erblassers.
Der Einfluss des Güterstands: Zugewinngemeinschaft, Gütertrennung & Gütergemeinschaft
Ein weiterer Faktor bei der Berechnung ist der eheliche Güterstand, in dem der Erblasser lebte. Er beeinflusst die gesetzliche Erbquote des überlebenden Ehegatten und damit indirekt auch die Erbquoten der Kinder. Dies ist eine der häufigsten Fehlerquellen bei der laienhaften Berechnung von Pflichtteilsansprüchen.
Zugewinngemeinschaft (gesetzlicher Regelfall): Leben Ehepartner ohne Ehevertrag, gilt die Zugewinngemeinschaft. Im Erbfall erhöht sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten pauschal um ein Viertel als Abgeltung für den Zugewinnausgleich. Neben Kindern erbt der Ehegatte also nicht nur ¼, sondern in Summe ½. Dadurch verringert sich der Anteil der Kinder entsprechend.
Gütertrennung: Haben die Eheleute per Notarvertrag Gütertrennung vereinbart, entfällt der pauschale Zugewinnausgleich. Folglich erhält der überlebende Ehegatten nur 1/4. Die enterbten Kindern, würden sich im Rahmen der gesetzlichen Erbquote 3/4 teilen. Wovon die Hälfte dann der Pflichtteil wäre.
Gütergemeinschaft: Dieser seltene Güterstand hat wiederum eigene Regeln, da dem überlebenden Ehegatten von vornherein die Hälfte des gemeinsamen Vermögens gehört.
Die korrekte Bestimmung des gesetzlichen Erbteils ist ohne die Berücksichtigung dieser güterrechtlichen Besonderheiten praktisch unmöglich. Dies unterstreicht, wie wichtig eine fachkundige Prüfung ist, um den eigenen Anspruch korrekt zu beziffern.
Familienkonstellation | Gesetzlicher Erbteil (Kind) bei Zugewinngemeinschaft | Pflichtteilsquote (Kind) | Gesetzlicher Erbteil (Kind) bei Gütertrennung | Pflichtteilsquote (Kind) |
Ehegatte + 1 Kind | 1/2 | 1/4 | 3/4 | 3/8 |
Ehegatte + 2 Kinder | 1/4 | 1/8 | 1/3 | 1/6 |
Ehegatte + 3 Kinder | 1/6 | 1/12 | 1/4 | 1/8 |
Kein Ehegatte, 2 Kinder | 1/2 | 1/4 | – | – |
Konkrete Fallbeispiele zur Berechnung des Pflichtteils
Um die Theorie greifbarer zu machen, hier zwei vereinfachte Beispiele:
Fall 1: Witwer mit zwei Kindern Ein verwitweter Vater hinterlässt ein Vermögen von 400.000 Euro. Er hat zwei Söhne, setzt aber Sohn A als Alleinerben ein und enterbt Sohn B.
Gesetzliche Erbfolge: Ohne Testament hätten beide Söhne zu gleichen Teilen geerbt, also jeder ½ des Nachlasses (200.000 Euro).
Pflichtteilsquote von Sohn B: Die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils von ½ ist ¼.
Pflichtteilsanspruch: ¼ von 400.000 Euro = 100.000 Euro. Sohn B kann von seinem Bruder A 100.000 Euro verlangen.
Fall 2: Ehepaar mit einem Kind in Zugewinngemeinschaft Eine Mutter hinterlässt ihren Ehemann und eine Tochter. Das Vermögen beträgt 600.000 Euro. Sie hat ihren Ehemann zum Alleinerben eingesetzt und die Tochter enterbt.
Gesetzliche Erbfolge (Zugewinngemeinschaft): Der Ehemann erbt ½, die Tochter ebenfalls ½.
Pflichtteilsquote der Tochter: Die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils von ½ ist ¼.
Pflichtteilsanspruch: ¼ von 600.000 Euro = 150.000 Euro. Die Tochter kann von ihrem Vater 150.000 Euro fordern.
Der Pflichtteil in drei Punkten
- Abkömmlinge, Ehepartner und Eltern sind Pflichtteilsberechtigt
- Der Güterstand einer Ehe hat erheblichen einfluss auf den Pflichtteil
- Je nach Familienkonstellation sind die Pflichteile unterschiedlich
Den Pflichtteilsanspruch durchsetzen: Ein Schritt-für-Schritt-Prozess
Ihr Pflichtteilsanspruch entsteht zwar mit dem Tod des Erblassers, wird aber nicht automatisch ausgezahlt. Sie müssen ihn aktiv durchsetzen. Der folgende Prozess hat sich in der Praxis bewährt und lässt sich visuell als klarer Ablauf darstellen.
Der Weg zu Ihrem Pflichtteil: Ein Prozess-Überblick
Start: Sie erfahren von Ihrer Enterbung (z.B. durch das Nachlassgericht oder die Erben). Am besten als Einwurfeinschreiben.
Stufe 1: Auskunft einfordern: Sie fordern die Erben schriftlich auf, ein vollständiges Nachlassverzeichnis zu erstellen.
Stufe 2: Wertermittlung verlangen: Bei Bedarf (z.B. bei einer Immobilie) fordern Sie ein Sachverständigengutachten zur Wertermittlung. Hier eignen sich nur unabhängige Gutachter.
Stufe 3: Anspruch beziffern und geltend machen: Auf Basis der erhaltenen Informationen berechnen Sie Ihren Anspruch und fordern die Erben schriftlich zur Zahlung auf.
Entscheidung: Zahlt der Erbe freiwillig?
Ja: Ziel erreicht – Sie erhalten Ihren Pflichtteil.
Nein: Nächster Schritt – Sie müssen Ihren Anspruch gerichtlich durchsetzen (Pflichtteilsklage).
Stufe 1: Der Auskunftsanspruch – Transparenz vom Erben einfordern (§ 2314 BGB)
Der erste und wichtigste Schritt ist es, sich die Informationen zu beschaffen. Sie können nicht berechnen, was Sie nicht wissen. Gemäß § 2314 BGB haben Sie einen gesetzlichen Anspruch gegen den Erben auf Erstellung eines vollständigen und systematischen Nachlassverzeichnisses.
Dieses Verzeichnis muss alle Vermögenswerte (Aktiva), alle Schulden (Passiva) sowie alle Schenkungen, die der Erblasser in den letzten Jahren vor seinem Tod getätigt hat, umfassen. Fordern Sie die Auskunft immer schriftlich (am besten per Einschreiben) und mit einer angemessenen Frist von etwa vier bis sechs Wochen an. Bestehen Zweifel an der Richtigkeit des privaten Verzeichnisses, können Sie auf Kosten des Nachlasses die Erstellung durch einen Notar verlangen.
Stufe 2: Die Wertermittlung – Den wahren Wert des Nachlasses feststellen
Befinden sich im Nachlass Gegenstände, deren Wert nicht offensichtlich ist (wie Immobilien, Kunst oder Unternehmensanteile), haben Sie zusätzlich zum Auskunftsanspruch einen Anspruch auf Wertermittlung durch einen unparteiischen Sachverständigen. Die Kosten für dieses Gutachten fallen dem Nachlass zur Last, das heißt, sie werden vom Gesamtwert abgezogen, bevor Ihr Pflichtteil berechnet wird. Der Erbe ist jedoch verpflichtet, diese Kosten zunächst zu verauslagen.
Stufe 3: Die Geltendmachung – Den Erben zur Zahlung auffordern
Sobald Ihnen alle Informationen vorliegen und der Nachlasswert feststeht, können Sie Ihren Pflichtteilsanspruch exakt beziffern. Diesen Betrag fordern Sie nun, wiederum schriftlich und mit einer klaren Zahlungsfrist, vom Erben ein.
Weigert sich der Erbe zu zahlen, bleibt als letzter Schritt die Pflichtteilsklage vor dem zuständigen Zivilgericht.
In der Praxis scheitert jedoch die Lösung bereits an der Stufe der Auskunft, daher wird hier oft eine sogenannte Stufenklage erhoben:
Stufe: Klage auf Auskunftserteilung.
Stufe: Ermittlung des Wertes von sich im Nachlass befindlichen Vermögensgegenständen.
Stufe: Klage auf Zahlung des bezifferten Pflichtteils.
Die Verjährung: Diese Fristen dürfen Sie nicht verpassen
Ihr Pflichtteilsanspruch ist nicht ewig durchsetzbar. Er unterliegt der gesetzlichen Verjährung.
Regelmäßige Verjährungsfrist: Die Frist beträgt drei Jahre.
Beginn der Frist: Die Dreijahresfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem Sie vom Tod des Erblassers als auch von der testamentarischen Verfügung, die Sie enterbt, Kenntnis erlangt haben. Man spricht hier auch von der „Silvesterverjährung“. Erfahren Sie beispielsweise im Mai 2024 von Ihrer Enterbung, beginnt die Frist erst am 31. Dezember 2024 und endet am 31. Dezember 2027.
Absolute Höchstfrist: Unabhängig von Ihrer Kenntnis verjährt jeder Pflichtteilsanspruch spätestens 30 Jahre nach dem Tod des Erblassers.
Anspruchsart | Fristdauer | Beginn der Frist | Beispiel |
Regelverjährung Pflichtteil | 3 Jahre | Ende des Jahres der Kenntnis von Erbfall & Enterbung. | Kenntnis in 2024 → Fristende 31.12.2027 |
Absolute Verjährung | 30 Jahre | Todestag des Erblassers. | Unabhängig von jeglicher Kenntnis. |
Anspruch gegen Beschenkten (§ 2329 BGB) | 3 Jahre | Todestag des Erblassers. | Kenntnisunabhängig, tagesgenau. |

Rechtsanwalt Sven Diel
Mehr als der „normale“ Pflichtteil – Besondere Ansprüche und strategische Optionen
Viele Enterbte wissen nicht, dass es neben dem Basis-Pflichtteil weitere Ansprüche geben kann. Diese strategischen Optionen können Ihren Anspruch erheblich erhöhen und sind oft der Schlüssel, um den wahren Willen des Gesetzgebers – eine faire Mindestbeteiligung – zu verwirklichen.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch: Wenn zu Lebzeiten verschenkt wurde (§ 2325 BGB)
Ein häufiger Versuch, den Pflichtteil zu schmälern, sind Schenkungen zu Lebzeiten. Um diese Aushöhlung des Nachlasses zu verhindern, hat der Gesetzgeber den Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB geschaffen. Dabei werden Schenkungen, die der Erblasser in den letzten
zehn Jahren vor seinem Tod an Dritte gemacht hat, dem Nachlass fiktiv wieder hinzugerechnet.
Das Abschmelzungsmodell: Der Wert der Schenkung wird jedoch nicht immer voll berücksichtigt. In bestimmten Fällen „schmilzt“ er mit jedem Jahr, das zwischen der Schenkung und dem Todestag liegt, um 10 % ab.
Zeitraum zwischen Schenkung und Erbfall | Anzurechnender Wert der Schenkung |
Innerhalb des 1. Jahres | 100 % |
Bis zu 2 Jahre | 90 % |
Bis zu 3 Jahre | 80 % |
Bis zu 4 Jahre | 70 % |
Bis zu 5 Jahre | 60 % |
Bis zu 6 Jahre | 50 % |
Bis zu 7 Jahre | 40 % |
Bis zu 8 Jahre | 30 % |
Bis zu 9 Jahre | 20 % |
Bis zu 10 Jahre | 10 % |
Mehr als 10 Jahre | 0 % |
Mächtige Ausnahmen von der 10-Jahres-Frist: Genau hier verbergen sich oft die größten Chancen für Enterbte. Die 10-Jahres-Frist gilt in zwei wichtigen Fällen nicht:
Schenkungen an den Ehegatten: Bei Schenkungen an den Ehepartner beginnt die 10-Jahres-Frist erst mit der Auflösung der Ehe (also durch Scheidung oder Tod). Eine Schenkung an den Ehepartner, die 15 Jahre zurückliegt, kann daher noch voll ergänzungspflichtig sein.
Schenkungen unter Nießbrauchsvorbehalt: Behält sich der Schenker ein umfassendes Nutzungsrecht an der verschenkten Sache vor (z.B. ein Nießbrauchsrecht an einer Immobilie, das ihm weiterhin alle Mieteinnahmen sichert), hat er die Sache wirtschaftlich nicht wirklich aufgegeben. Die Frist beginnt daher erst zu laufen, wenn dieses Nutzungsrecht erlischt.
Diese Ausnahmen sind eine entscheidende, aber oft übersehene Wertquelle. Sie können dazu führen, dass auch lange zurückliegende Vermögensübertragungen Ihren Pflichtteil noch signifikant erhöhen.
Der Zusatzpflichtteil: Wenn der hinterlassene Erbteil zu gering ist (§ 2305 BGB)
Manchmal wird ein Pflichtteilsberechtigter nicht vollständig enterbt, sondern nur mit einem sehr kleinen Erbteil bedacht. Ist dieser Erbteil wertmäßig geringer als der ihm zustehende Pflichtteil, kann er von den Miterben die Differenz als sogenannten Zusatzpflichtteil (oder Restpflichtteil) verlangen.
Das Erbe ausschlagen und den Pflichtteil fordern: Wann ist das sinnvoll? (§ 2306 BGB)
Wenn Sie als Erbe eingesetzt, Ihr Erbteil aber mit Beschränkungen (z.B. einer Nacherbschaft) oder Beschwerungen (z.B. hohen Vermächtnissen zugunsten Dritter) belastet ist, haben Sie ein wichtiges Wahlrecht. Sie können dieses belastete Erbe innerhalb von sechs Wochen ausschlagen und stattdessen Ihren vollen, unbelasteten Pflichtteil in Geld fordern. Dies kann wirtschaftlich deutlich vorteilhafter sein.
Das Berliner Testament und die Pflichtteilsstrafklausel
Beim sogenannten Berliner Testament setzen sich Ehegatten gegenseitig als Alleinerben ein. Die Kinder sind damit nach dem Tod des ersten Elternteils enterbt und könnten ihren Pflichtteil fordern. Um dies zu verhindern, enthalten viele Testamente eine Pflichtteilsstrafklausel. Sie besagt, dass ein Kind, das nach dem ersten Erbfall seinen Pflichtteil verlangt, auch nach dem Tod des zweiten Elternteils nur den Pflichtteil erhält und nicht, wie vorgesehen, Vollerbe wird.
Wenn der Erblasser alles nimmt – Die Grenzen der Enterbung
Die Angst, am Ende trotz aller Rechte völlig leer auszugehen, ist verständlich. Doch die Hürden, einem nahen Angehörigen auch noch den Pflichtteil zu entziehen, sind extrem hoch.
Die (engen) Grenzen der Enterbung: Wann kann der Pflichtteil entzogen werden? (§ 2333 BGB)
Ein vollständiger Entzug des Pflichtteils ist nur in seltenen Ausnahmefällen möglich, die in § 2333 BGB abschließend aufgezählt sind. Dazu gehören schwerste Verfehlungen wie :
Der Pflichtteilsberechtigte trachtet dem Erblasser, dessen Partner oder anderen nahen Angehörigen nach dem Leben.
Er macht sich eines Verbrechens oder schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine dieser Personen schuldig.
Er verletzt böswillig seine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser.
Ein zerrüttetes Verhältnis, Kontaktabbruch oder „grober Undank“ allein reichen für einen Pflichtteilsentzug ausdrücklich nicht aus. Der Entziehungsgrund muss zudem im Testament detailliert angegeben und bewiesen werden.
Der Pflichtteilsverzicht: Eine vertragliche Lösung zu Lebzeiten (§ 2346 BGB)
Die einzige Möglichkeit, zu Lebzeiten wirksam auf einen zukünftigen Pflichtteil zu verzichten, ist ein notariell beurkundeter Pflichtteilsverzichtsvertrag zwischen dem Erblasser und dem Berechtigten. In der Praxis geschieht dies fast immer gegen die Zahlung einer Abfindung. Ohne einen solchen Vertrag ist eine einseitige Erklärung oder eine mündliche Absprache rechtlich unwirksam.
Umgang mit Konflikten und emotionalen Folgen
Ein Erbstreit ist selten nur eine juristische Auseinandersetzung. Er ist oft der Höhepunkt langjähriger familiärer Spannungen und emotionaler Verletzungen. Ein ganzheitlicher Ansatz berücksichtigt daher nicht nur Ihre rechtlichen Ansprüche, sondern auch die menschliche Dimension des Konflikts.
Die emotionale Belastung einer Enterbung: Mehr als nur eine finanzielle Frage
Eine Enterbung wird oft als letzter, endgültiger Akt der Zurückweisung empfunden. Sie kann Gefühle von Wut, Trauer und Ungerechtigkeit auslösen und den Familienfrieden nachhaltig zerstören. Oft liegen die Ursachen für den Streit tiefer: eine ungleiche Behandlung zu Lebzeiten, Auseinandersetzungen über die Pflege der Eltern oder das Gefühl, nicht wertgeschätzt worden zu sein. Die Anerkennung dieser emotionalen Ebene ist der erste Schritt zu einer konstruktiven Lösung.
Erbstreit vermeiden oder beilegen: Mediation als Alternative zum Gericht
Bevor der kostspielige und oft zermürbende Weg vor Gericht beschritten wird, sollte die Mediation als Alternative in Betracht gezogen werden. Eine Mediation ist ein strukturiertes, außergerichtliches Verfahren, bei dem ein neutraler Mediator die Parteien dabei unterstützt, eine gemeinsame, für alle tragfähige Lösung zu finden. Noch besser als Streit, in welcher Form auch immer, ist die Regelungen des Ganzen zu Lebzeiten. In diesen Fällen lässt sich die Zerrüttung der Familie vermeiden und der Erblasser kann zu Lebzeiten seinen Willen selbst umsetzen.
Die Vorteile der Mediation sind erheblich:
Kostengünstiger und schneller als ein Gerichtsverfahren.
Vertraulich, während Gerichtsverhandlungen öffentlich sind.
Erhält den Familienfrieden, da sie auf Konsens statt auf Konfrontation setzt.
Kreative Lösungen sind möglich, die über rein rechtliche Ansprüche hinausgehen (z.B. die Verteilung von Erinnerungsstücken zusätzlich zu einer Geldzahlung).
Wann ist die Anfechtung des Testaments eine Option?
In manchen Fällen ist nicht nur der Pflichtteilsanspruch, sondern die Enterbung selbst angreifbar. Ein Testament kann unwirksam sein, wenn bestimmte Gründe vorliegen:
Formfehler (z.B. nicht handschriftlich verfasst und unterschrieben)
Testierunfähigkeit des Erblassers (z.B. aufgrund fortgeschrittener Demenz)
Sittenwidrigkeit oder Anordnung unter Irrtum oder Drohung.
Eine erfolgreiche Anfechtung führt zur Ungültigkeit des Testaments. Dann tritt die gesetzliche Erbfolge ein, und Sie erhalten Ihren vollen Erbteil, nicht nur den Pflichtteil.

Rechtsanwalt Sven Diel
Häufige Fragen bei Enterbung (FAQ)
Kann ich meinen Pflichtteil auch in Form von Sachwerten (z.B. Immobilie) erhalten?
Grundsätzlich ist der Pflichtteil ein reiner Geldanspruch. Sie haben keinen Anspruch auf einen bestimmten Gegenstand. Sie können sich jedoch jederzeit mit den Erben darauf einigen, dass Ihnen zur Abgeltung Ihres Anspruchs ein Sachwert übertragen wird.
Wer trägt die Kosten für ein Wertgutachten?
Die Kosten für ein Sachverständigengutachten zur Wertermittlung sind Nachlassverbindlichkeiten. Sie werden also vom Nachlasswert abgezogen, bevor der Pflichtteil berechnet wird. Der Erbe muss die Kosten jedoch zunächst auslegen.
Was passiert, wenn der Erbe den Pflichtteil nicht zahlen kann?
Wenn die sofortige Zahlung für den Erben eine „unbillige Härte“ darstellen würde (z.B. weil er das selbst bewohnte Familienheim verkaufen müsste), kann er bei Gericht eine Stundung (Aufschub der Zahlung) beantragen. Reicht der Nachlass nicht aus, um den Pflichtteilsergänzungsanspruch zu decken, kann unter Umständen auch der Beschenkte direkt in Anspruch genommen werden.
Erbausschlagung
Erfolgt erst nach dem Tod. Schlagen Sie ein Erbe aus, verlieren Sie in der Regel auch Ihren Pflichtteilsanspruch, außer in den speziellen Fällen des § 2306 BGB (belastetes Erbe).
Wie lange kann ich den Pflichtteil einfordern?
Die Verjährungsfrist beträgt grundsätzlich 3 Jahre.